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Judikatur | Entscheidung

10 Ob 26/15v; OGH; 28. April 2015

GZ: 10 Ob 26/15v | Gericht: OGH vom 28.04.2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C***** GmbH & Co, *****, vertreten durch Wiedenbauer Mutz Winkler Pramberger Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei O***** - Verein *****, vertreten durch Mag. Alexander Paleczek, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29. Oktober 2014, GZ 38 R 161/14d-25, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Die Klägerin vermietete an die Beklagte den 3. Stock des in ihrem Eigentum stehenden Hauses S*****, in ***** Wien beginnend mit November 2010 auf 15 Jahre. Nach dem Mietvertrag kann das Bestandverhältnis vom Vermieter nur bei Vorliegen der Kündigungsgründe der §§ 30 und 31 MRG aufgelöst werden, wobei er fünf Jahre auf sein Kündigungsrecht verzichtete. Weiters ist der Vermieter, „abgesehen von den Fällen des § 1118 ABGB, berechtigt, das Mietverhältnis mit sofortiger Wirkung aufzulösen“, wenn der Mieter eine wesentliche Verpflichtung aus dem Vertrag nicht erfüllt oder über ihn ein Insolvenzverfahren eröffnet oder die Eröffnung mangels Kostendeckung abgewiesen wird.

Die Beklagte betreibt in den Räumlichkeiten eine sozialpsychiatrische Wohngemeinschaft, in der in zwei Wohneinheiten bis zu 12 in der Regel psychisch labile Jugendliche betreut werden.

In der Folge kam es durch die Jugendlichen zu massiven Verschmutzungen im Haus, beispielsweise durch das Wegwerfen von Unrat, Urinieren im Lift und Beschmieren von Wänden sowie Beschädigungen von Brandmeldern und Lichtschaltern. Gegenstände wurden aus Fenstern geworfen. Mitarbeiter anderer im Haus eingemieteter Parteien, überwiegend Gewerbeunternehmen, wurden verbal bedroht und beschimpft, sodass sie teilweise nur in Kleingruppen das Gebäude verlassen, Mitarbeiterinnen ersuchen männliche Kollegen, sie zur Busstation zu begleiten oder fürchten sich, nach Einbruch der Dunkelheit das Gebäude zu durchqueren. Einige Mieter haben bereits die Auflösung des Mietverhältnisses oder die Geltendmachung von Mietzinsreduktionen in Aussicht gestellt.

Die Klägerin erklärte die Auflösung des Bestandvertrags wegen erheblich nachteiligen Gebrauchs und grob unleidlichen Verhaltens gemäß § 1118 ABGB und begehrt die Räumung des Bestandobjekts.

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren Folge.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Beklagten ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

1. Die Unkündbarkeit des Dauerschuldverhältnisses steht seiner Auflösung aus einem wichtigen Grund nicht entgegen (RIS-Justiz RS0018368). Auch bei Bestandverträgen bei denen die Unkündbarkeit vereinbart ist, ist eine vorzeitige Auflösung zulässig, wenn dem Bestandgeber aus wichtigen Gründen die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann (RIS-Justiz RS0021107). Die völlige Ausschaltung der vorzeitigen Vertragsauflösung aus wichtigem Grund ist sittenwidrig (RIS-Justiz RS0016630).

2. Der Revisionswerber sieht einen Unterschied zum vorliegenden Fall darin, dass diesen Entscheidungen ein allgemeiner Kündigungsverzicht zugrunde lag, nicht ein ausdrücklich auf die Kündigungsgründe des § 30 MRG bezogener. Dabei übersieht er, dass im Anwendungsbereich des MRG, der zu vermuten ist (RIS-Justiz RS0069235, RS0044791), eine Aufkündigung nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinn des § 30 MRG möglich ist. Insofern liegt auch dem vorliegenden Fall ein allgemeiner Kündigungsverzicht zu Grunde. Der Bestandgeber kann sich trotz vereinbarter Unkündbarkeit auf einen Auflösungsgrund nach § 1118 ABGB berufen. Daher tangiert auch ein befristeter Kündigungsverzicht oder die Abrede einer beschränkten Kündigungsmöglichkeit das vorzeitige Lösungsrecht nicht (Binder in Schwimann, ABGB³ § 1118 Rz 29 mwN).

3. Die Revision übergeht aber auch, dass im Mietvertrag neben dem Kündigungsverzicht ausdrücklich eine Auflösbarkeit des Mietverhältnisses mit sofortiger Wirkung vereinbart wurde, unter anderem aus den Gründen des § 1118 ABGB.

Schon aufgrund des klaren Wortlauts dieser vertraglichen Vereinbarung ist die Ansicht des Berufungsgerichts, dass der Mietvertrag nicht so auszulegen ist, dass auf eine Auflösung des Mietverhältnisses aus dem Grund des § 1118 erster Fall ABGB verzichtet wurde, nicht korrekturbedürftig.

Darauf, ob die Beklagte unter Berücksichtigung der daraus resultierenden Konsequenzen den Mietvertrag überhaupt abgeschlossen hätte, kommt es bei Beurteilung der Wirksamkeit der Auflösungserklärung nicht an.

4. Ob ein dem Bestandnehmer anzulastender Nachteil als erheblich nachteiliger Gebrauch im Sinn des § 1118 ABGB anzusehen ist, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, deren rechtliche Würdigung vom Obersten Gerichtshof nicht zu überprüfen ist, außer es liegt eine auffallende und im Interesse der Rechtssicherheit zu korrigierende Fehlbeurteilung der Zumutbarkeit einer Fortsetzung des Bestandverhältnisses vor (RIS-Justiz RS0113693 [T4]).

Ein solcher erheblich nachteiliger Gebrauch ist dann zu bejahen, wenn durch eine wiederholte, länger währende vertragswidrige Benutzung des Bestandobjekts oder durch eine längere Reihe von Unterlassungen notwendiger Vorkehrungen die Interessen des Vermieters verletzt werden oder eine erhebliche Verletzung der Substanz des Mietgegenstands erfolgt oder auch nur droht (vgl RIS-Justiz RS0102020). Die wichtigen Gründe in der Person des Bestandnehmers müssen die Interessen des Bestandgebers soweit nachteilig berühren, dass sie bei objektiver Betrachtungsweise einen verständigen Bestandgeber zur Vertragsauflösung veranlassen würden und diese als gerechte, dem Sachverhalt adäquate Maßnahme erscheinen lassen (RIS-Justiz RS0020981 [T17]). Der Auflösungsgrund des § 1118 erster Fall ABGB setzt kein Verschulden des Mieters voraus (RIS-Justiz RS0070243). Ein „unleidliches Verhalten“ im Sinn des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG ist unter den Tatbestand des § 1118 erster Fall ABGB zu subsumieren (RIS-Justiz RS0020956). Dabei genügt es, dass das zur Kündigung Anlass gebende Verhalten objektiv als geeignet angesehen werden muss, den Mitbewohnern oder auch nur einem von ihnen das Wohnen im Haus zu verleiden (RIS-Justiz RS0070303). Grundsätzlich verantwortet der Mieter auch das Verhalten anderer Personen, die mit seinem Willen den Mietgegenstand benützen (10 Ob 1631/95 ua).

Ausgehend von den festgestellten Verhaltensweisen der im Objekt der Beklagten betreuten Jugendlichen, dem Bewerfen von Mitarbeitern der Mieter mit Gegenständen und Verbalattacken, wodurch diese sich unsicher und bedroht fühlen, der Beschädigung von im Hof parkenden Fahrzeugen, den Verunreinigungen, die dazu führen, dass Kunden nicht mehr in den Geschäftsräumlichkeiten empfangen werden können, weshalb Mieter auch bereits mit der Auflösung des Mietverhältnisses oder der Geltendmachung von Mietzinsreduktionen gedroht haben liegt in der Bejahung des Auflösungsgrundes des § 1118 ABGB erster Fall durch die Vorinstanzen keine aufzugreifende Fehlbeurteilung.

Die Revision war daher zurückzuweisen.

Leitsätze

  • Auflösungsgrund des § 1118 erster Fall ABGB bei unleidlichem Verhalten Dritter?

    Unter den Tatbestand des § 1118 erster Fall ABGB ist auch ein „unleidliches Verhalten“ im Sinn des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG zu subsumieren. Grundsätzlich verantwortet der Mieter auch das Verhalten anderer Personen, die mit seinem Willen den Mietgegenstand benützen; dies gilt auch dann, wenn aus dem Vertragszweck ein unleidliches Verhalten Dritter nicht ausgeschlossen erscheint.
    WEKA (mpe) | Judikatur | Leitsatz | 10 Ob 26/15v | OGH vom 28.04.2015 | Dokument-ID: 762571