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1 Ob 98/20y; OGH; 24. Juni 2020
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Kodek, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** GmbH, *****, vertreten durch die Puschner Spernbauer Rosenauer Rechtsanwälte OG, Wien, gegen die beklagte Partei Dr. R***** D*****, wegen 53.714,03 EUR sA und Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 15. Jänner 2020, GZ 39 R 373/19w-29, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 30. September 2019, GZ 54 C 258/18v-21, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung
Rechtliche Beurteilung
1. Der wiederholte Verweis in den Revisionsausführungen auf bestimmte Schriftsätze ist unzulässig und damit unbeachtlich. Jede Rechtsmittelschrift ist ein in sich geschlossener selbstständiger Schriftsatz und kann nicht durch Bezugnahme auf den Inhalt anderer in derselben (oder in einer anderen Sache) erstatteter Schriftsätze ersetzt oder ergänzt werden (RIS-Justiz RS0043616 [T4, T5, T6, T19]; RS0007029).
2.1. Behauptete Mängel des Verfahrens erster Instanz (hier die Unterlassung der Einholung eines Sachverständigengutachtens), die vom Berufungsgericht nicht als solche anerkannt worden sind, können in dritter Instanz nicht mehr erfolgreich geltend gemacht werden (RS0042963 [insbesondere T64 zur Nichteinholung eines Gutachtens]). Ein Mangel des Berufungsverfahrens läge vor, wenn sich das Berufungsgericht mit der Mängelrüge überhaupt nicht befasst (RS0042963 [T9]) oder diese mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hätte (RS0042963 [T28]). Das ist hier nicht der Fall.
Das Berufungsgericht verneinte eine (entscheidungsrelevante) Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens, weil der Beklagte in der Berufung nicht ausreichend darzulegen vermocht habe, inwiefern die Unterlassung der Einholung des Sachverständigengutachtens aus dem Baufach abstrakt geeignet gewesen wäre, eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen. Inwieweit die Einholung eines solchen Gutachtens eine Schimmelbildung in der Küche und im WC und die Geruchsbelastung hätte nachweisen können, zeige er nicht auf. Wenn der Beklagte diesbezüglich einen Verfahrensmangel des Berufungsgerichts behauptet, liegt dieser nicht vor, zeigt er doch nicht auf, dass dieses seine Mängelrüge mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hätte.
2.2. Das Berufungsgericht verneinte sowohl die vom beklagten Rechtsanwalt in der Berufung relevierte Anleitungspflicht im Zusammenhang mit einem Beweisanbot zur Frage der (Un-)Richtigkeit der Betriebskostenabrechnungen und mangels Beweisanbots des Beklagten eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens. Zwar legte der Beklagte im Verfahren erster Instanz seinen Antrag an die Schlichtungsstelle vor, legt allerdings in der Revision nicht dar, inwiefern und in welchem Ausmaß sich daraus die Unrichtigkeit der den Betriebskostenabrechnungen zugrunde gelegten Nutzfläche ergeben soll. Dem behaupteten Mangel des Berufungsverfahrens nach § 503 Z 2 ZPO fehlt damit schon die erforderliche Relevanzdarstellung, ganz abgesehen davon, dass nicht nachvollziehbar ist, worin die zugleich relevierte Aktenwidrigkeit liegen soll.
Mit der Vorlage des im Schlichtungsstellenverfahren (zeitlich nach der zweitinstanzlichen Entscheidung) erstellten Amtsgutachtens mit der Revision verstößt der Beklagte – entgegen seiner Ansicht – gegen das Neuerungsverbot (§ 504 Abs 2 ZPO).
2.3. Der Beklagte bemängelt (erneut) die (sinngemäße) Anwendung des § 273 ZPO zur Dauer der von ihm im Februar 2016 übernommenen Verputzarbeiten und behauptet, er habe dazu „umfangreiches Vorbringen“ erstattet. Diesen Einwand verwarf schon das Berufungsgericht, weil er kein Vorbringen erstattet habe, binnen welcher Frist die von ihm selbst vorzunehmenden Verputzarbeiten objektiv durchführbar gewesen wären. Damit releviert er einen angeblichen Mangel des Verfahrens erster Instanz, der, weil er vom Berufungsgericht verneint wurde, nicht nach § 503 Z 2 ZPO geltend gemacht werden kann (RS0042963 [T14]). Die Anwendung des § 273 ZPO wiederum hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab und hat daher keine über diesen hinausgehende Bedeutung (RS0121220 [T1]). Die behauptete aktenwidrige Begründung des Berufungsgerichts wird nicht aufgezeigt, vermag doch der Beklagte nicht einmal konkret darzulegen, welches Vorbringen er zur Dauer der von ihm übernommenen Verputzarbeiten erstattete.
3.1. Grobes Verschulden des Mieters am Zahlungsverzug setzt ein besonderes Maß an Sorglosigkeit voraus, sodass der Vorwurf berechtigt erscheint, der Mieter habe die Interessen des Vermieters aus Rechthaberei, Willkür, Leichtsinn, Gleichgültigkeit oder Streitsucht verletzt (RS0069304). Rechthaberei liegt vor, wenn der Mieter auf einem bei nüchterner Überlegung als unrichtig erkennbaren Standpunkt beharrt (RS0069304 [T8]; RS0070327 [T3]).
Die Beweislast dafür, dass ein grobes Verschulden an der Nichtzahlung des Zinses nicht vorliegt, trifft den beklagten Mieter. Er hat den ihn entschuldigenden Sachverhalt in jeder möglichen Richtung zu konkretisieren, also jene Tatsachen zu behaupten und zu beweisen, die rechtlich die Annahme eines groben Verschuldens auf seiner Seite ausschließen. Jeder Zweifel geht zu seinen Lasten (RS0069316 [T4, T6, T10]).
Ob den Mieter am Zahlungsrückstand ein grobes Verschulden trifft, ist eine Frage, die von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Zufolge dieser Einzelfallbezogenheit kann dadurch die Zulässigkeit der Revision nur dann begründet werden, wenn das Berufungsgericht den ihm bei der Beurteilung des groben Verschuldens an der nicht rechtzeitigen Zahlung des Mietzinses eingeräumten Beurteilungsspielraum überschritten hat (RS0042773 [T1, T3]). Das ist hier aber nicht der Fall.
3.2. Nach den Feststellungen wurde der Wasserschaden in der Küche der gemieteten Kanzlei im Februar 2016 behoben. Während dieser Feuchtigkeitsprobleme bzw der Trocknung der Mauer gab es in der Küche zwar den bei Feuchtigkeitsschäden üblichen Geruch, jedoch bildete sich kein Schimmel. Nicht festgestellt werden kann, dass auch nach Abschluss der Trocknungsarbeiten (Februar 2016) noch ein modriger Geruch im Bestandobjekt wahrnehmbar war.
Mitte April 2017 fiel dem Beklagten auf, dass aus einem Kanalknie zwischen der Decke in der Toilette und der Zwischendecke auf die Zwischendecke fallweise Flüssigkeit tropfte und sich dort Feuchtigkeit befand. Nicht festgestellt werden kann, dass es zu Schimmelbildung oder zu Schäden am Verputz aufgrund des Austritts dieser Feuchtigkeit und zu einer Geruchsbelästigung kam. Ende Februar 2018 behob die klagende Vermieterin die Ursache für die fallweisen Wasseraustritte. Seit Februar 2018 zahlt der Beklagte keine Miete.
3.3. Die (unglücklich formulierte, aber verständliche) Beurteilung des Berufungsgerichts, es liege ein krasses Missverhältnis „zwischen der Höhe des Mietzinsrückstands und dem behaupteten Zinsminderungsanspruch“ vor, ist nicht korrekturbedürftig. Der Wasserschaden aus dem Jahr 2015 sei im Februar 2016 trockengelegt worden und der weitere Schaden habe darin bestanden, dass ein in den Kanalstrang mündendes Kanalrohr in der Toilette nicht ordnungsgemäß verschlossen worden sei, weshalb immer wieder Wasser auf eine Zwischendecke (im WC) austreten habe können. Der Beklagte leite daraus ein eklatant überhöhtes Mietzinsminderungsbegehren ab, wenn er ab Februar 2018 keinen Mietzins mehr zahle. Bei nüchterner Betrachtung hätte er seinen Standpunkt, dass ab Dezember 2015 der halbe Mietzins zu mindern sei, als unrichtig erkennen müssen, sodass hier kein Fall eines fehlerhaften Vorstellungsbildes vorliege, sondern Rechthaberei, die den qualifizierten Zahlungsrückstand herbeigeführt habe. Den Beklagten treffe ein grobes Verschulden am Zahlungsrückstand.
3.4. Der Beklagte vermisst Feststellungen zu seiner „subjektiven Seite“ und damit zur Beurteilung seines Verschuldens, die unabhängig von den Negativfeststellungen über den Schimmel und die Geruchsbelästigung zu treffen wären. Welche „subjektive“ Vorstellung er von seinem Mietzinsminderungsrecht gehabt hat und auf welcher Grundlage legt er in der Revision nicht dar. Zwar ist bei der Beurteilung groben Verschuldens an der verspäteten Zinszahlung die Willensrichtung des Mieters, die zur Zahlungsverzögerung führte, entscheidend (RS0069316 [T12]), wozu entsprechende Feststellungen im Rahmen des vom Mieter dazu erstatteten Vorbringens erforderlich sind. Wieso eine als berechtigt erkannte Mietzinsminderung im Zeitraum Oktober 2015 bis Februar 2016 von 15 % und eine von der Vermieterin bis April 2018 berücksichtigte Mietzinsminderung in Höhe von 3 % den Beklagten aber dazu berechtigten sollte, die Mietzinse von Februar 2018 bis Mai 2019 überhaupt nicht zu leisten, vermag er auch in der Revision nicht zu erklären; er beruft sich auch nicht etwa auf eine Tilgung durch Aufrechnung. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass dies auf Rechthaberei beruht, ist durchaus naheliegend.
4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
Leitsätze
-
Zur Rechthaberei als grobes Verschulden bei übermäßiger Mietzinsminderung bei Wasserschaden
Rechthaberei liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn der Mieter auf einem bei nüchterner Überlegung als unrichtig erkennbaren Standpunkt beharrt(in casu Nichtzahlung des Mietzinses wegen eines kleinen Wasserschadens)). Grobes Verschulden des Mieters am Zahlungsverzug setzt ein besonderes Maß an Sorglosigkeit voraus, sodass der Vorwurf berechtigt erscheint, der Mieter habe die Interessen des Vermieters aus Rechthaberei, Willkür, Leichtsinn, Gleichgültigkeit oder Streitsucht verletzt). Die Beweislast dafür, dass kein grobes Verschulden an der Nichtzahlung des Zinses vorliegt, trifft den Mieter.Stanislava Doganova | Judikatur | Leitsatz | 1 Ob 98/20y | OGH vom 24.06.2020 | Dokument-ID: 1076649