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5 Ob 19/22p; OGH; 6. April 2022
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun-Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache des Antragstellers S*, vertreten durch Dr. Renate Weinberger, Rechtsanwältin in Mödling, gegen die Antragsgegnerin A* GmbH, *, vertreten durch die Hausmann & Hausmann Rechtsanwälte GmbH, Wien, wegen § 52 Abs 1 Z 3 WEG iVm § 30 Abs 1 Z 6 WEG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 17. November 2021, GZ 38 R 149/21z-13, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 5. März 2021, GZ 6 Msch 34/20t-9, abgeändert wurde, den
Sachbeschluss
gefasst:
Spruch
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidung des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass der Sachbeschluss des Erstgerichts einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die Antragsgegnerin ist schuldig, dem Antragsteller die mit EUR 1.029,24 (darin enthalten EUR 128,04 USt und EUR 261,– Barauslagen) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung
[1] Die Streitteile sind je zur Hälfte Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft.
[2] Mit Sachbeschluss zu AZ 6 Msch 45/19h vom 15.01.2020 hat das Erstgericht dem Antrag auf Abberufung der damaligen Fremdverwalterin stattgegeben und einen Antrag auf Bestellung eines neuen Verwalters für die Liegenschaft abgewiesen. Dieser Sachbeschluss erwuchs in Rechtskraft.
[3] Nunmehr begehrt der Antragsteller die Bestellung eines Verwalters für die Liegenschaft. Die Bestellung eines Drittverwalters scheitere an der Ablehnung bzw der Untätigkeit der Antragsgegnerin, wobei eine mehrheitliche Bestellung eines Verwalters aufgrund der Anteilsverhältnisse nicht möglich sei. Die Verwaltung durch die Antragsgegnerin sei untunlich, weil zwischen ihm und der Antragsgegnerin mehrere Rechtsstreitigkeiten gerichtsanhängig seien und seit langem keine konstruktive Kommunikation möglich sei. Es würden keine Abrechnungen erstellt und Bücher seit Jänner 2020 nicht mehr ordnungsgemäß geführt. Von einer geordneten Selbstverwaltung durch die Antragsgegnerin könne daher keine Rede sein. Gemeinschaftliche Verwaltungshandlungen fänden seit Jänner 2020 nicht statt. Die Antragsgegnerin verweigere die für eine ordentliche Verwaltung notwendigen Maßnahmen, wie etwa die Übernahme der Verwaltungsunterlagen, die Abrechnung der Einkünfte und Aufwendungen, die Zahlung von Verbindlichkeiten oder die Ausführung behördlich beauftragter Maßnahmen, was für alle Eigentümer nachteilig sei.
[4] Die Antragsgegnerin wendete ein, die Voraussetzungen für eine Fremdverwaltung lägen nicht vor, weil sie über einen laufenden Geschäftsbetrieb verfüge und daher die Verwaltung ausüben könne. Die Bestellung eines Drittverwalters wäre untunlich und zum Nachteil der Eigentümer, weil ein Drittverwalter über die Verhältnisse des Hauses umfänglich zu informieren wäre. Die Übernahme der Verwaltung wäre aufgrund der konkreten Umstände nicht nur für den zu bestellenden Dritten, sondern auch für die Antragsgegnerin selbst mit einem nicht zumutbaren Arbeitsaufwand und daraus resultierenden unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden. Im Übrigen funktioniere die Selbstverwaltung. Sie übe einzelne Verwaltungsagenden aus, indem sie die Versicherung, das Wasser, die Schädlingsbekämpfung, die Hausreinigung und die Müllabfuhr zahle.
[5] Das Erstgericht gab dem Antrag statt und bestellte eine Immobilien GmbH zur Verwalterin der Liegenschaft. Seitdem die Vorverwalterin zu AZ 6 Msch 45/19h rechtskräftig abberufen worden sei, habe die Antragsgegnerin keine Schritte gesetzt, um ein Einvernehmen zur Bestellung eines neuen Verwalters herzustellen, obwohl sie vom Antragsteller dazu mehrfach aufgefordert worden sei. Tatsächlich übe die Antragsgegnerin zwar faktisch die notwendigsten Verwaltungshandlungen aus, indem sie die laufenden Aufwendungen für die Liegenschaft zahle. Der Antragsteller leiste demgegenüber – wie schon in der Vergangenheit – keine Beiträge zu diesen Kosten. Eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen dem Antragsteller und dem Geschäftsführer der Antragsgegnerin sei aber in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Da die Antragsgegnerin nicht verwalte, sondern nur die notwendigsten Angelegenheiten erledige, könne von einer vom Mehrheitswillen getragenen Selbstverwaltung keine Rede sein.
[6] Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel der Antragsgegnerin Folge und wies den Antrag ab. Sei kein Verwalter bestellt, könne nach § 23 WEG 2002 sowohl ein Wohnungseigentümer als auch ein Dritter, der ein berechtigtes Interesse an einer wirksamen Vertretung der Eigentümergemeinschaft habe, die gerichtliche Bestellung eines vorläufigen Verwalters beantragen, dessen Vertretungsbefugnis mit der Bestellung eines Verwalters durch die Gemeinschaft ende. Ein vorläufiger Verwalter sei nur zu bestellen, wenn eine Selbstverwaltung durch die Miteigentümer nicht möglich oder nicht tunlich sei und die Bestellung im Interesse aller Miteigentümer liege. Der Antragsteller habe weder ein wichtiges Interesse noch eine konkrete Dringlichkeit nachgewiesen. Allein der Umstand, dass zwischen den Parteien, die je zur Hälfte Miteigentümer der Liegenschaft sind, keine konstruktive Zusammenarbeit stattfinde und auch eine Einigung nicht möglich sei, ob die Verwaltung im Rahmen der Selbstverwaltung stattfinden oder ein Fremdverwalter bestellt werden soll, zeige ohne Hinzutreten weiterer Umstände noch nicht auf, dass die Selbstverwaltung aktuell untunlich wäre. In einem solchen Fall habe es als Ausdruck des Eigentums bei der Selbstverwaltung zu bleiben, zumal die Verwaltung durch einen Dritten im Sinn des § 833 ABGB nur als Ausnahme gedacht sei. Aus § 18 Abs 3 WEG folge, dass immer Selbstverwaltung gegeben sei, wenn kein Verwalter bestellt werde.
Rechtliche Beurteilung
[7] Gegen diese Entscheidung richtet sich der von der Antragsgegnerin beantwortete außerordentliche Revisionsrekurs des Antragstellers, der zulässig ist, weil die Entscheidung des Rekursgerichts einer Korrektur bedarf; er ist auch berechtigt.
[8] 1.1 Die in § 833 ABGB geregelte Selbstverwaltung der Miteigentümer ist als Normalfall der Verwaltung konzipiert. Sie liegt vor, solange die Eigentümergemeinschaft nach dem Mehrheitswillen ihrer Teilhaber die Verwaltung selbstverantwortlich führt, auch wenn einzelne Aufgaben von bestimmten Wohnungseigentümern wahrgenommen werden (vgl 5 Ob 185/16s mwN). Soll aber nach dem Gemeinschaftswillen die gesamte Verwaltung der Liegenschaft übertragen und damit die Handlungszuständigkeit der Mehrheit künftig ausgeschlossen werden, liegt Fremdverwaltung vor, auch wenn sie durch einen Wohnungseigentümer ausgeübt wird. Der Wohnungseigentümer ist dann Verwalter mit allen durchsetzbaren Verpflichtungen des WEG (RIS-Justiz RS0122296 [T3]).
[9] 1.2 Die Antragsgegnerin erledigt nach den Sachverhaltsfeststellungen zwar einzelne Verwaltungsagenden, indem sie Zahlungen für die regelmäßig wiederkehrenden Liegenschaftsaufwendungen tätigt. Diese Zahlungen leistet sie aber nicht in Ausübung einer ihr durch den Gemeinschaftswillen übertragenen Verwaltung, sondern handelt aus Eigenem und übt diese Verwaltungstätigkeiten daher bloß faktisch und nicht als bestellte Verwalterin aus.
[10] 1.3 Ist kein gemeinsamer Verwalter bestellt, können Verwaltungshandlungen nur von der Mehrheit gesetzt werden (RS0105778). Steht die Liegenschaft im Hälfteeigentum, befindet sich jeder Anteilseigner insoweit in einer besonderen Situation, als er Maßnahmen der ordentlichen Verwaltung weder alleine durchsetzen kann, noch können solche Maßnahmen gegen seinen Willen beschlossen werden (H. Böhm/Palma in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 833 Rz 12). Bei Anteilsgleichheit ist die gemeinsame einverständliche Selbstverwaltung nur möglich, wenn sich die Miteigentümer darauf verständigen. Die Einigung der beiden Hälfteeigentümer muss dabei alle Verwaltungshandlungen betreffen (vgl RS0013215).
[11] 2.1 Ein Übergang von der Selbst- zur Fremdverwaltung, sowohl was die Beendigung der Selbstverwaltung betrifft als auch die Auswahl der Person des Verwalters, kann von der Mehrheit der Mit- und Wohnungseigentümer beschlossen werden (§ 28 Abs 1 Z 5 WEG). Daneben besteht aber ein Minderheitsrecht jedes Mit- und Wohnungseigentümers, vom Gericht die Entscheidung darüber zu verlangen, dass ein gemeinsamer Verwalter gemäß den §§ 19 ff WEG (oder ein vorläufiger Verwalter gemäß § 23 WEG) bestellt wird (§ 30 Abs 1 Z 6 WEG). Für die rechtsgestaltende Entscheidung des Außerstreitrichters darüber, ob auf Antrag eines Mit- und Wohnungseigentümers (anstelle der bisherigen Selbstverwaltung) ein Verwalter zu bestellen ist, reicht es nicht (schon) aus, dass noch kein Verwalter bestellt ist. Es muss vielmehr untunlich oder unmöglich sein, die Selbstverwaltung beizubehalten (RS0083080). Der antragstellende Wohnungseigentümer hat dabei auch das wichtige Interesse an der Fremdverwaltung darzulegen (vgl RS0083080 [T1]). Für die Bestellung eines vorläufigen Verwalters müssen – abgesehen vom Nachweis einer konkreten Dringlichkeit – die beschriebenen Voraussetzungen ebenfalls gegeben sein (RS0105715 [T6]; 5 Ob 204/17m). Die Bestellung eines einstweiligen Verwalters hat der Antragsteller, was das Rekursgericht übergeht, wenn es ihm vorhält, er habe die Dringlichkeit nicht dargetan, gar nicht angestrebt, sondern von seinem Recht nach § 30 Abs 1 Z 6 WEG Gebrauch gemacht (vgl dazu Spruzina in Böhm/Pletzer/Spruzina/Stabentheiner, GeKo Wohnrecht II § 30 WEG Rz 31). Auch das Erstgericht hat nicht über die Bestellung eines vorläufigen Verwalters nach § 23 WEG abgesprochen.
[12] 2.2 Befindet sich eine Liegenschaft im Hälfteeigentum, kommt eine (gemeinschaftliche) Selbstverwaltung nur in Betracht, wenn sich beide Anteilseigner über die gemeinsame Verwaltung einig sind, wobei die Einigung alle Verwaltungsagenden betreffen muss. Ist das nicht der Fall, ist ein Ausüben der Selbstverwaltung durch die Hälfteigentümer unmöglich. Der Oberste Gerichtshof hat daher bereits ausgesprochen, dass als einziger Ausweg die Bestellung eines Verwalters bleibt, wenn eine Einigung der beiden Hälfteeigentümer über die gemeinsame Selbstverwaltung nicht zustande kommt (7 Ob 99/66 = MietSlg 18.076 = RS0013215; vgl auch Sprohar-Heimlich in Schwimann/Kodek5 § 833 Rz 38).
[13] 3. Bis zur Entscheidung zu AZ 6 Msch 45/19h wurde die Liegenschaft fremdverwaltet. Somit bestand zwischen den Miteigentümern jedenfalls in der Vergangenheit ein Einvernehmen dahin, dass sie die Verwaltung der Liegenschaft nicht selbst ausüben. Nach den Feststellungen haben die Streitteile als Hälfteeigentümer der Liegenschaft nach der Auflösung des Verwaltungsverhältnisses mit der vormaligen Fremdverwalterin auch kein Einvernehmen erzielt, dass die Liegenschaft nunmehr nicht mehr von einem Dritten, sondern von ihnen gemeinschaftlich verwaltet werden soll. Eine Einigung als Grundlage für eine Rückkehr zur gemeinschaftlichen Selbstverwaltung anstelle der bis zur gerichtlichen Entscheidung ausgeübten Verwaltung durch einen Dritten liegt demnach nicht vor. Die von der Antragstellerin in ihrer Revisionsrekursbeantwortung zitierte Entscheidung zu 5 Ob 129/08v, in der ein Abgehen von der einvernehmlichen Selbstverwaltung zu beurteilen war, ist damit nicht einschlägig. Auch ist eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen dem Antragsteller und dem Geschäftsführer der Antragstellerin in absehbarer Zeit nicht zu erwarten, sodass es derzeit geradezu ausgeschlossen erscheint, dass die beiden Hälfteeigentümer Einigung über die Angelegenheiten der Verwaltung der Liegenschaft erzielen und damit wieder zur Selbstverwaltung übergehen könnten. Entgegen der Ansicht des Rekursgerichts hat der Antragsteller damit die Voraussetzungen für die Bestellung eines Verwalters dargetan. Kommt – wie hier mangels Einigung der Häfteeigentümer – die Ausübung der (Rückkehr zur) Selbstverwaltung nicht in Betracht, kann kein Zweifel bestehen, dass die Betrauung eines Dritten mit den Agenden der Verwaltung im Interesse beider Teilhaber liegt. Die von der Antragsgegnerin gegen die Bestellung eines Verwalters ins Treffen geführten Mehrkosten stehen dieser Beurteilung schon deshalb nicht entgegen, weil ohne Fremdverwaltung mangels Einvernehmens sonst allenfalls auch notwendige Verwaltungshandlungen unterbleiben.
[14] 4. Dem Revisionsrekurs des Antragstellers ist damit Folge zu geben und der Sachbeschluss des Erstgerichts wiederherzustellen.
[15] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 2 WEG iVm § 37 Abs 3 Z 17 MRG.
Leitsätze
-
Zur Bestellung eines Verwalters bei Hälfteeigentum
Die Selbstverwaltung einer Liegenschaft durch ihre Miteigentümer ist der gesetzliche Normalfall. Befindet sich eine Liegenschaft im Hälfteeigentum, ist Selbstverwaltung aber nur möglich, wenn die beiden Anteilseigner über die Verwaltung ein Einvernehmen erzielen. Die Einigung muss alle Verwaltungsagenden umfassen. Mangels einer solchen Einigung ist im Interesse beider Anteilseigner ein Verwalter zu bestellen.Eva-Maria Hintringer | Judikatur | Leitsatz | 5 Ob 19/22p | OGH vom 06.04.2022 | Dokument-ID: 1117757