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6 Ob 253/12t; OGH; 27. Februar 2013
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** W*****, vertreten durch Mag. Dieter Kocher, Rechtsanwalt in St. Michael, gegen die beklagte Partei A***** H*****, vertreten durch Dr. Ewald Wirleitner und andere Rechtsanwälte in Steyr, wegen EUR 20.000,– sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 19. September 2012, GZ 22 R 174/12k 32, mit dem über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Zell am See vom 2. April 2012, GZ 18 C 569/10p 25, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 1.189,24 (davon EUR 198,24 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung
1. Die Revision ist entgegen dem, den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) nicht zulässig. Ihre Zurückweisung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).
2. Die Klägerin ist seit 1982 Mieterin zweier Wohnungen im Haus des Beklagten, das ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel aufgrund einer nach dem 30.06.1953 erteilten Baugenehmigung neu errichtet worden ist.
Sie begehrt vom beklagten Vermieter Zahlung von EUR 20.000,– sA mit der Begründung, dass er trotz Aufforderung notwendige Instandhaltungs(setzungs-)arbeiten (Sanierung des morschen Balkons, des mangelhaften Kamins, der massiv abgewitterten und mangelhaften Fenster, der nicht betriebssicheren Elektroanlage) nicht durchführe. Um die Bewohnbarkeit des Mietobjekts zu gewährleisten, sei sie gezwungen, die dem Beklagten obliegenden Erhaltungsmaßnahmen selbst in Auftrag zu geben. Die veranschlagten Kosten für die vorzunehmenden Arbeiten beliefen sich auf EUR 28.195,91, wovon sie vorsichtshalber nur EUR 20.000,– geltend mache. Für den Fall der Verneinung einer Vorschusspflicht des Beklagten begehrte sie ihn schuldig zu erkennen, die im Einzelnen angeführten Arbeiten durchzuführen.
3. Mit dem angefochtenen Teilurteil wies das Berufungsgericht das Zahlungsbegehren ab. Die Klägerin habe nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 6 Ob 88/98d keinen Anspruch gegen den Vermieter auf Vorschuss der Kosten der von ihr beabsichtigten Instandsetzungsarbeiten.
4. Nachträglich (§ 508 ZPO) ließ das Berufungsgericht die ordentliche Revision zu. Das Klagebegehren sei zwar nicht primär darauf gerichtet, einen im Vermögen der Klägerin eingetretenen Schaden geltend zu machen, jedoch habe die von ihr angesprochene Rechtsfrage in der Rechtsprechung soweit ersichtlich noch nicht in einem Ausmaß Behandlung gefunden, dass von einer durchgehenden, gesicherten Judikatur gesprochen werden könnte. Außerdem diene eine Stellungnahme des Höchstgerichts zu den von der Klägerin angesprochenen Rechtsfragen über den Anlassfall hinaus der Rechtssicherheit.
Rechtliche Beurteilung
5. Gemäß § 1096 Abs 1 ABGB ist der Bestandgeber verpflichtet, den Bestandgegenstand in brauchbarem Zustand zu übergeben und zu erhalten und die Bestandnehmer in dem bedungenen Gebrauch oder Genuss nicht zu stören. Ist das Bestandobjekt bei der Übergabe derart mangelhaft oder wird es während der Bestandzeit ohne Verschulden des Bestandnehmers derart mangelhaft, dass es zum bedungenen Gebrauch nicht taugt, so ist der Bestandnehmer für die Dauer und im Ausmaß der Unbrauchbarkeit von der Entrichtung des Zinses befreit.
Nach dieser Bestimmung ist der Bestandgeber zur umfassenden Instandhaltung des Bestandobjekts verpflichtet. Diese Verpflichtung umfasst nicht nur die Verpflichtung zur Übergabe in dem vertraglich geschuldeten (den „bedungenen“ Gebrauch ermöglichenden) Zustand, sondern auch die Verpflichtung, das Bestandobjekt nach Übergabe im ursprünglich geschuldeten Zustand zu erhalten (3 Ob 20/09a SZ 2009/70 mwN), und zwar während der gesamten Vertragszeit (RIS Justiz RS0021199).
6. Verletzt der Bestandgeber das bedungene Gebrauchsrecht, so kann der Bestandnehmer zwischen dem Begehren auf Erfüllung, Zinsminderung, vorzeitige Auflösung (§ 1117 ABGB) und bei Verschulden auf Schadenersatz wählen; das gilt immer dann, wenn der Bestandgeber dem Bestandnehmer den bedungenen Gebrauch nicht oder nicht vollständig gewährt (verstärkter Senat 1 Ob 113/02b SZ 2002/132 mwN).
7. Die Ersatzherstellung der erforderlichen, dem Bestandgeber obliegenden Instandhaltung durch den Bestandnehmer ist in § 1097 ABGB geregelt. Nach dessen Satz 2 erste Variante hat er in diesem Fall einer angewandten Geschäftsführung ohne Auftrag einen sofort fälligen Anspruch auf Ersatz des notwendigen und zweckmäßig gemachten Aufwands (2 Ob 21/06m mwN; Riss in Kletečka/Schauer, ABGB ON 1.01 § 1097 Rz 6 mwN). Einen Anspruch auf Ersatz von Kosten, die mit der vom Bestandnehmer erst beabsichtigten Durchführung von Arbeiten, die dem Bestandgeber obliegen, voraussichtlich verbunden sein werden, gewährt § 1097 ABGB nicht (5 Ob 523/93, RIS Justiz RS0020481; 6 Ob 88/98d SZ 71/85).
8. Die Revisionswerberin vertritt den Standpunkt, sie habe Anspruch auf Zahlung des für die Sanierung notwendigen Kapitals, weil
a) ein Mieter in seinem Vermögen geschädigt sei, wenn der Vermieter seiner Erhaltungspflicht nicht nachkomme, müsse doch der Mieter sämtliche Aufwendungen selbst tätigen, um die ordnungsgemäße Benützung des Objekts zu gewährleisten; aus dem Erfüllungsanspruch des Mieters sei für den Fall des verschuldeten Verzugs des Vermieters mit Erhaltungsarbeiten ein Wahlrecht des Mieters auf Geldersatz oder Erfüllung abzuleiten;
b) der Vermögenswert eines Mieters „im gesamten Bestandobjekt“ bestehe und ein schuldhafter Verstoß des Vermieters gegen seine Erhaltungsverpflichtung schadenersatzpflichtig mache;
c) sie vertragsgemäß verpflichtet sei, bei Beendigung des Mietverhältnisses das Bestandobjekt in einem brauchbaren Zustand zurückzustellen, und Gefahr laufe, für eine ordnungsgemäße Rückgabe nicht mehr sorgen zu können, wenn der Beklagte die Außenanlagen oder sicherheitstechnische Mängel nicht beheben lasse.
9. Eine erhebliche Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) zeigt die Revisionswerberin nicht auf.
Einen schadenersatzrechtlichen Anspruch des Mieters auf Vorschuss der zur Sanierung des Mietobjekts notwendigen Kosten bejaht die Rechtsprechung zwar nicht nur dann, wenn die Sanierung im Eigentum des Mieters stehende Sachen betrifft, sondern auch dann, wenn sie im Eigentum des Vermieters stehende Sachen betrifft, die aber einen in die Mietersphäre fallenden Vermögenswert darstellen und nicht unter die Erhaltungspflicht des Vermieters fallen (6 Ob 88/98d SZ 71/85 mwN; vgl 7 Ob 64/01i). Ein Anspruch des Mieters auf Zahlung des für die Schadensbehebung erforderlichen Kapitals gilt daher nur für solche Schäden, zu deren Behebung der Vermieter grundsätzlich nicht verpflichtet ist, die also in die Vermögenssphäre des Mieters fallen (6 Ob 88/98d; vgl 4 Ob 86/08p). Die Mängel des Balkons, des Kamins, der Fenster und der Elektroanlage vermindern das Vermögen des Beklagten. Davon, dass die Mängelbeseitigung in die Erhaltungspflicht des Beklagten fällt, geht auch die Klägerin aus. Die mangelhaften Sachen sind daher kein Schaden im Vermögen der Klägerin, den sie ungeachtet der noch nicht vorgenommenen Sanierung im Sinn einer eingetretenen Vermögensverminderung in der Höhe der voraussichtlichen Kosten der Schadensbehebung geltend machen könnte (vgl 5 Ob 523/93). Die Kosten der Beseitigung der den geschuldeten Gebrauch der Sache beeinträchtigenden Mängel des Bestandobjekts sind eine Vermögenseinbuße des Bestandnehmers, die ihm infolge der Nichterfüllung der Erhaltungspflicht durch den Bestandgeber entstanden sind, wenn er sie aufgewendet hat.
10. Der Bestandnehmer hat nur ein Nutzungs-, aber kein Substanzinteresse (Riss in Kletečka/Schauer, ABGB ON 1.01 § 1096 Rz 2). Die Revisionswerberin meint, sie habe Anspruch auf das Deckungskapital, sei doch dem Bestandnehmer wohl zuzubilligen, das Interesse einzufordern, wenn der Bestandgeber seiner Erhaltungspflicht nicht nachkomme. § 368 EO setzt das Bestehen eines materiellrechtlichen Anspruchs voraus (RIS-Justiz RS0004674; RS0004748). Die Interessenklage hat den Ersatz des Schadens zum Gegenstand (RIS-Justiz RS0004658). Wie unter Punkt 9. ausgeführt, hat die Klägerin mangels eines in ihrem Vermögen schon eingetretenen Schadens keinen schadenersatzrechtlichen Anspruch auf Vorschuss der Sanierungskosten. Ein Vorschuss gliche nicht ihr beeinträchtigtes Nutzungsinteresse aus, sondern ein Substanzinteresse, das sie nicht hat.
11. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Der Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
Leitsätze
-
Bestandnehmer hat kein Substanzinteresse
Der Bestandnehmer hat lediglich ein Nutzungs-, aber kein Substanzinteresse. Mangels eines im Vermögen des Bestandnehmers schon eingetretenen Schadens besteht kein schadenersatzrechtlicher Anspruch auf Vorschuss der Sanierungskosten. Ein Vorschuss gliche nicht sein beeinträchtigtes Nutzungsinteresse aus, sondern ein Substanzinteresse, das er nicht hat.Iman Torabia | Judikatur | Leitsatz | 6 Ob 253/12t | OGH vom 27.02.2013 | Dokument-ID: 562490