Über 800 Verträge und Mustervorlagen, Fachinformation, aktuelle Judikatur
» Mehr Infos zum Portal Gesellschaftsrecht
2 Ob 238/09b; OGH; 15. September 2010
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei „K***** GmbH“, *****, vertreten durch Dr. Franz Mitterbauer, Rechtsanwalt in Altheim, gegen die beklagte Partei K***** Ltd., *****, vertreten durch Rechtsanwälte Estermann & Partner KG in Mattighofen, wegen EUR 201.964,– sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 22. September 2009, GZ 3 R 91/09m 22, womit das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 20. März 2009, GZ 32 Cg 25/08i 16, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Begründung
Die klagende Partei, eine GmbH mit Sitz in Österreich, wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 21.04.2004 gegründet. Geschäftsführerin ist Maria E*****, Gesellschafter sind die italienischen Staatsbürger Fausto M***** und Ferrante P*****, wobei ersterer einen Geschäftsanteil von 90 % hält. Die beklagte „Limited“, wurde am 20.06.2004 in den Vereinigten Arabischen Emiraten gegründet und ist dort als „Offshore Firma“ registriert. Geschäftsführende Direktoren sind der britische Staatsbürger Peter John B***** und der deutsche Staatsbürger Friedrich K*****. Die Familie Friedrich K*****s ist Begünstigte des auf der britischen Kanalinsel Guernsey ansässigen alleinigen Gesellschafters, eines Trusts. Die Streitteile handeln weltweit mit gebrauchten Anlagen und Maschinen für die Holzplattenindustrie.
Die Gründung der beiden Gesellschaften resultierte aus einer seit Beginn des Jahres 2002 währenden geschäftlichen Zusammenarbeit zwischen Fausto M***** und Friedrich K*****, die auch in der Folge fortgesetzt wurde. Dabei wurden die beiden Gesellschaften als einheitliches Unternehmen betrachtet, die Erlöse aus dem Verkauf von Maschinen kamen in einen „gemeinsamen Topf“. Gegen Ende des Jahres 2005 bekundete Fausto M***** sein Interesse an der Übernahme der beklagten Partei. Da es zwischen den Streitteilen zu „Unstimmigkeiten im Abrechnungswesen“ gekommen war, einigten sich Fausto M***** und Friedrich K***** darauf, „einen Schlussstrich zu ziehen“. Sie kamen überein, dass weder der klagenden Partei gegenüber der beklagten Partei noch dieser gegenüber der klagenden Partei Forderungen zustehen sollten.
Am 12.03.2006 unterfertigten Fausto M***** als Käufer, Vertreter des Treuhänders des erwähnten Trusts sowie Friedrich K***** einen „Sales Contract“, nach dessen Inhalt Fausto M***** die Aktien der beklagten Partei gegen Zahlung eines Kaufpreises von EUR 20.000,– an den Trust übertragen erhielt. Außerdem verpflichtete sich Fausto M***** zur Zahlung der im Vertrag bezifferten „Firmenschulden“ an den Trust und an Friedrich K*****. Entsprechend einer weiteren vertraglichen Vereinbarung trat Fausto M***** in der Folge als alleiniger Geschäftsführer der beklagten Partei auf.
Mit der am 07.03.2008 eingebrachten Klage begehrt die klagende Partei von der beklagten Partei EUR 201.964,– sA als Entgelt für Reparatur und Wartungsarbeiten, die sie im Zeitraum 01.01. bis 31.12.2005 an den in Österreich gelagerten Maschinen der beklagten Partei durchgeführt habe. Der von Fausto M***** vereinbarte „Forderungsvergleich“ sei mangels Vertretungsbefugnis dieses Gesellschafters für die klagende Partei nicht bindend. Diese hafte auch nicht für die behaupteten Vertragsverletzungen des Fausto M***** aus dem „Sales Contract“.
Die beklagte Partei wandte Gegenforderungen ein und brachte vor, Fausto M***** und Friedrich K***** hätten anlässlich des „Sales Contracts“ eine Abrechnung der wechselseitigen Forderungen mit Stichtag 31.12.2005 vorgenommen. Hiebei sei Fausto M***** nicht nur als Privatperson, sondern auch als Geschäftsführer der klagenden Partei aufgetreten. Eine allfällige Forderung der klagenden Partei sei daher erloschen. Fausto M***** sei der „faktische Geschäftsführer“ der klagenden Partei und trete nach außen als Alleinverantwortlicher und Alleinvertretungsbefugter der Gesellschaft auf. Die bestellte Geschäftsführerin übe diese Funktion nur zum Schein aus. Sie sei lediglich „Strohfrau“ und an die Weisungen des Fausto M***** gebunden. Ohne dessen Zustimmung geschehe bei der klagenden Partei nichts. Er führe für die klagende Partei die Korrespondenz mit den Geschäftspartnern, führe die Vertragsverhandlungen und unterzeichne Geschäftspapiere als „Managing Director“. Die bestellte Geschäftsführerin könne schon aufgrund fehlender Vorkenntnisse im weltweiten Handel mit Industrieanlagen keine selbstständigen Entscheidungen treffen, sie werde über wesentliche Geschäftsvorgänge nicht einmal informiert.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging im Wesentlichen vom eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt aus und traf noch folgende weitere, für das Rekursverfahren bedeutsame Feststellungen:
Die eingetragene Geschäftsführerin konnte in allen wesentlichen geschäftlichen Belangen keine eigenständigen Entscheidungen treffen. Fausto M***** hatte ihr die Weisung erteilt, die Geschäftsführungsagenden nur nach Genehmigung durch ihn auszuüben. Er gab ihr zum Teil die Texte für wichtige Geschäftsbriefe vor, die sie wortwörtlich zu übernehmen hatte; teilweise musste sie M***** den Text für Geschäftsbriefe zur Genehmigung vorlegen. Die Geschäftsführerin war zum Teil auch nicht in den Zahlungsverkehr eingebunden. Die Zahlungen erfolgten ohne ihr Einverständnis und sie wurde erst im Nachhinein darüber informiert oder musste sich die Informationen selbst besorgen. Wenn sie selbst Überweisungen von den Bankkonten der klagenden Partei durchführen wollte, musste sie zuvor eine Genehmigung von Fausto M***** einholen. M***** trat nach außen gegenüber Geschäftspartnern als Geschäftsführer der klagenden Partei auf. Er unterzeichnete die von ihm für die klagende Partei verhandelten Verträge mit dem Zusatz „Managing Director“ bzw „General Manager“. Im Zuge der Vertragsverhandlungen mit der beklagten Partei (Ende 2005) bezeichnete sich Fausto M***** selbst als Geschäftsführer der klagenden Partei. Die eigentliche Geschäftsführerin war in die Vertragsverhandlungen nicht eingebunden.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, dass Fausto M***** „faktischer Geschäftsführer“ der klagenden Partei sei. Da er somit über die erforderliche Vertretungsbefugnis verfüge, sei die klagende Partei an die von ihm abgegebene Verzichtserklärung gebunden. Von diesem Verzicht seien auch die klagsgegenständlichen Reparatur und Wartungskosten umfasst.
Das Berufungsgericht hob das erstinstanzliche Urteil auf und sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.
Es ließ die Mängel und Tatsachenrüge der klagenden Partei aus rechtlichen Erwägungen unerledigt und erörterte gestützt auf eine deutsche Lehrmeinung rechtlich, dass die Handlungen eines „faktischen Geschäftsführers“, der neben oder anstelle des bestellten Geschäftsführers Geschäftsführungskompetenzen ausübe, für die Gesellschaft grundsätzlich unwirksam seien. Die Gesellschaft müsse sich hinsichtlich dieser Vertretungshandlungen aber allenfalls nach den Regeln der Anscheinsvollmacht behandeln lassen.
Die für das Vorliegen einer Anscheinsvollmacht beweispflichtige beklagte Partei habe jedoch kein Vorbringen dazu erstattet, welchen konkreten Rechtsschein die Geschäftsführerin der klagenden Partei gegenüber der beklagten Partei gesetzt habe, dem nach seinem objektiven Erklärungswert eine entsprechende Vollmachtskundgabe innewohne. Sie habe auch zum Vorliegen einer allfälligen nicht vorwerfbaren Unkenntnis des Vollmachtsmangels des Fausto M***** keine Behauptungen aufgestellt. Nach den unbekämpften Feststellungen des Erstgerichts habe Friedrich K***** gewusst, dass Fausto M***** nicht Geschäftsführer der klagenden Partei gewesen sei. Da die bestellte Geschäftsführerin in die Vertragsverhandlungen nicht eingebunden gewesen sei, wäre Friedrich K***** verpflichtet gewesen, über den Umfang der Vertretungsmacht des Fausto M***** bei der Geschäftsführerin nachzufragen. Fausto M***** sei als falsus procurator zu qualifizieren. Eine Sanierung des Vollmachtsmangels durch nachträgliche Genehmigung des Geschäfts habe die beklagte Partei nicht behauptet. Ein Verzicht der klagenden Partei auf die geltend gemachten Forderungen sei daher nicht anzunehmen, weshalb ergänzende Feststellungen zum Grund und zur Höhe dieser Forderungen, wie auch zu den eingewendeten Gegenforderungen, erforderlich seien.
Das Berufungsgericht erklärte den Rekurs gegen seinen Aufhebungsbeschluss mit der Begründung für zulässig, dass es zu der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein „faktischer Geschäftsführer“ die GmbH wirksam vertreten könne, an höchstgerichtlicher Rechtsprechung fehle.
Gegen die zweitinstanzliche Entscheidung richtet sich der Rekurs der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die klagende Partei beantragte in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Er ist im Sinn des Eventualantrags auch berechtigt.
Die beklagte Partei macht geltend, dass die Rechtshandlungen des „faktischen Geschäftsführers“ der von ihm vertretenen GmbH ohne weiteres zurechenbar seien. Falls dies nicht zutreffen sollte, sei von einer Bevollmächtigung durch die bestellte Geschäftsführerin, zumindest aber vom Vorliegen einer Anscheins oder Duldungsvollmacht auszugehen. Die bestellte Geschäftsführerin habe das Auftreten des „faktischen Geschäftsführers“ für die GmbH stets geduldet, sodass die beklagte Partei auf dessen Vertretungsbefugnis habe vertrauen dürfen.
Hiezu wurde erwogen:
I. | Zur organschaftlichen Vertretung der GmbH: |
|
|
II. | Zur Vollmacht des „faktischen Geschäftsführers“: |
|
|
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
Leitsätze
-
Vertretungsbefugnis und Vollmacht des faktischen Geschäftsführers
Die Beurteilung der Vertretungsbefugnis des „faktischen Geschäftsführers“ hat ausschließlich nach den vollmachtsrechtlichen Grundsätzen zu erfolgen. Er hat keine Befugnis, die GmbH im rechtsgeschäftlichen Verkehr organschaftlich zu vertreten. Ob er Gesellschafter ist ist unerheblich.Judikatur | Leitsatz | 2 Ob 238/09b | OGH vom 15.09.2010 | Dokument-ID: 260634