Dokument-ID: 878287

Judikatur | Entscheidung

6 Ob 169/16w; OGH; 24. Oktober 2016

GZ: 6 Ob 169/16w | Gericht: OGH vom 24.10.2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V*****, vertreten durch Dr. Bernhard Umfahrer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei B***** AG, *****, vertreten durch Oberhammer Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen und Beschlussfeststellung (35.000 EUR, Revisionsstreitwert 34.000 EUR) über die Revisionen beider Streitteile gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Mai 2016, GZ 4 R 195/15y-16, womit das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 25. September 2015, GZ 6 Cg 46/15x-12, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Den Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegenseitig aufgehoben.

Entscheidungsgründe

Der Kläger ist Aktionär der Beklagten und hat in der Hauptversammlung am 20.03.2015 gegen folgende Beschlüsse gestimmt und Widerspruch zur Niederschrift erklärt:

„1. Die Ausschüttung von dem sich aus dem Geschäftsjahr vom 01.10.2013 bis 30.09.2014 ergebenden Bilanzgewinn in Höhe von EUR 10.174.318,67 (Euro zehn Millionen einhundertvierundsiebzigtausend dreihundertachtzehn Cent siebenundsechzig) eines Betrags von EUR 1.028.419 (Euro eine Million achtundzwanzigtausend vierhundertneunzehn) in Form einer Dividende an die Aktionäre im Verhältnis ihrer jeweiligen Beteiligung (10 Cent je Aktie) und Vortrag des Restbetrags in Höhe von EUR 9.145.899,67 (Euro neun Millionen einhundertfünfundvierzigtausend achthundertneunundneunzig Cent siebenundsechzig) wird auf neue Rechnung beschlossen.

2. Der Antrag der Aktionärin V***** auf Ausschüttung des gesamten im Jahresabschluss 2013/2014 der Gesellschaft ausgewiesenen Bilanzgewinns in Höhe von EUR 10.174.318,67 wird abgelehnt.

3. Der Antrag der Aktionärin, V***** auf Ausschüttung des gesamten im Jahresabschluss 2013/2014 der Gesellschaft ausgewiesenen Billanzgewinns in Höhe von EUR 10.174.318,67 wird abgelehnt.“

Die unter Punkt 2. und 3. genannten, gleichlautenden Beschlüsse wurden zweimal gefasst, weil der Vorsitzende der Hauptversammlung zweimal über den Antrag des Klägers abstimmen ließ.

§ 23 Abs 2 der Satzung der Beklagten lautet:

„Die Hauptversammlung beschließt alljährlich in den ersten acht Monaten des Geschäftsjahres über die Verwendung des Bilanzgewinns wenn im Jahresabschluss ein solcher ausgewiesen ist, die Entlastung des Vorstandes und des Aufsichtsrates, die Wahl [...].“

Der Jahresabschluss der Beklagten für das Geschäftsjahr 2013/2014 weist einen Bilanzgewinn von EUR 10.174.318,67 aus. Der Kläger hält seit 15.01.2015 10 Stück auf Namen lautende Stückaktien der Beklagten, dies entspricht 0,00009 % aller Anteile am Grundkapital. Bei Vollausschüttung des Bilanzgewinns in der Höhe von EUR 10.174.318,67 erhält der Kläger EUR 7,42.

Der Kläger begehrte die Nichtigerklärung der angefochtenen Beschlüsse und die Feststellung des Beschlusses der Vollausschüttung des gesamten ausgewiesenen Bilanzgewinns. Die angefochtenen Beschlüsse würden gegen das gesetzliche Gebot verstoßen, den Bilanzgewinn vollständig an die Aktionäre auszuschütten, weil die Satzung keine dahin gehende Ermächtigung enthalte.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie sei ein Familienunternehmen; nur 5,25 % der Aktien befänden sich im Streubesitz. Die Satzung ermächtige die Beklagte, den Bilanzgewinn auch anders als durch Ausschüttung zu verwenden. Zumindest sei die Satzung von den Aktionären immer so verstanden worden. Eine Vollausschüttung des seit Jahren erwirtschafteten und angesammelten Bilanzgewinns laufe den Eigenkapital basierenden Finanzinteressen der Beklagten zuwider. Der Kläger verletze eine Treuepflicht. Sein Begehren sei rechtsmissbräuchlich.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren im Wesentlichen mit der Begründung ab, es sei schikanös und rechtsmissbräuchlich, wegen eines Interesses in Höhe von bloß EUR 7,42 die Beklagte zur Ausschüttung eines Betrags von EUR 10,2 Millionen zu zwingen. Eine positive Feststellungsklage sei für das Begehren des Klägers unzulässig.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil teilweise dahin ab, dass es der Beschlussanfechtungsklage stattgab und das Begehren auf Feststellung eines Beschlusses über die Vollausschüttung abwies.

In der Satzungsbestimmung „Die Hauptversammlung beschließt alljährlich in den ersten acht Monaten des Geschäftsjahres über die Verwendung des Bilanzgewinns“ liege keine Ermächtigung im Sinne des § 104 Abs 4 AktienG, den Bilanzgewinn ganz oder teilweise von der Verteilung auszuschließen. Das Klagebegehren sei auch nicht rechtsmissbräuchlich. Der Gesetzgeber habe mit § 196 Abs 1 AktienG klar zum Ausdruck gebracht, dass jedem (auch einem Zwerg-)Aktionär, der in der Hauptversammlung teilnimmt, das Anfechtungsrecht gemäß § 195 Abs 1 AktienG zur Verfügung stehe, wenn sein Aktionärrecht auf Gewinnbeteiligung durch einen Gewinnverwendungsbeschluss gemäß § 104 Abs 2 Z 2 iVm Abs 4 AktienG verletzt werde. Ausreichende Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch lägen nicht vor.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof sich bisher nicht mit der Satzungsstrenge aufgrund von § 104 Abs 4 AktG, mit den Voraussetzungen einer rechtsmissbräuchlichen Ausübung des Anfechtungsrechts gemäß § 195 Abs 1 iVm § 196 Abs 1 Z 1 AktienG, insbesondere im Hinblick auf die Pflichten- und Treuebindung in personalistisch organisierten Familien-AGs und mit der Zulässigkeit einer positiven Feststellungsklage im Fall einer rechtlich gebotenen, aber dem Abstimmungsergebnis widersprechenden Beschlussfassung auseinander zu setzen hatte.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Die Revisionen sind aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig; sie sind aber nicht berechtigt.

Zur Revision der Beklagten:

1.1. In der Entscheidung 3 Ob 59/07h hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, die Hauptversammlung dürfe ohne satzungsmäßige Grundlage den Bilanzgewinn weder ganz noch teilweise von der Verteilung ausschließen, auch nicht im Wege eines Gewinnvortrags auf neue Rechnung; sofern in der Satzung nichts anderes vorgesehen sei, bestehe ein Vollausschüttungsgebot. In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall fand sich in der Satzung bloß die Formulierung: „Die Hauptversammlung beschließt alljährlich […] über die Verwendung des im Vorjahre erzielten Reingewinnes.“ Diese Formulierung wurde vom Obersten Gerichtshof nicht als Ermächtigung zum Vortrag des Gewinns auf neue Rechnung gesehen, zumal Gewinnverwendungsvorschriften wie grundsätzlich alle korporativen Satzungsbestimmungen deutlich formuliert sein müssten.

1.2. Diese Entscheidung erging allerdings noch zur Rechtslage vor dem AktRÄG BGBl I 2009/71. Damals war in § 104 AktienG nur die Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrats geregelt; die Bestimmungen über die Gewinnverwendung fanden sich in § 126 AktienG. Dort war in Abs 1 festgelegt, dass die Hauptversammlung über die „Verteilung“ des Bilanzgewinns beschließt; Abs 3 enthielt dann die mit § 104 Abs 4 zweiter Satz AktienG in der geltenden Fassung wortidente Formulierung, dass die Hauptversammlung den Bilanzgewinn „von der Verteilung ausschließen“ kann, soweit sie aufgrund der Satzung hierzu ermächtigt ist.

1.3. Die Formulierung des § 104 Abs 4 erster Satz AktienG, wonach die Hauptversammlung an den vom Vorstand mit Billigung des Aufsichtsrates „festgestellten Jahresabschluss“ gebunden ist, bedeutet bloß, dass die Hauptversammlung nur über die Verwendung des sich daraus ergebenden Bilanzgewinns beschließen kann, der im Jahresabschluss aufscheint (vgl S. Bydlinski/Potyka in Jabornegg/Strasser, AktG5 § 104 Rz 18). Die Hauptversammlung kann also grundsätzlich nicht die Höhe des zu verwendenden Betrags beeinflussen.

1.4. Was den Beschluss über die Verwendung anlangt, so hat die Hauptversammlung nicht an sich, sondern nur auf satzungsmäßiger Grundlage – die unter Umständen in der bloßen Ermächtigung der Hauptversammlung zur freien Verfügung über den Bilanzgewinn bestehen kann – das Recht, die Gewinnausschüttung an die Aktionäre ganz oder teilweise zu unterbinden (S. Bydlinski/Potyka in Jabornegg/Strasser, AktG5 § 104 Rz 21). Ohne satzungsmäßige Grundlage für einen gänzlichen oder teilweisen Ausschluss des Bilanzgewinns von der Verteilung ist auch ein Gewinnvortrag auf neue Rechnung unzulässig (S. Bydlinski/Potyka in Jabornegg/Strasser, AktG5 § 104 Rz 23; Torggler, HBA³ § 126 AktG Rz 15 f; Gruber in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 104 Rz 43). Demgemäß wird auch in der Literatur empfohlen, in der Satzung eine eindeutige Ermächtigung im Sinne des § 104 Abs 4 Satz 2 AktienG aufzunehmen (Brix, Lehren aus Anfechtungsklagen von Hauptversammlungsbeschlüssen, GesRz 2015, 123 [124]).

1.5. Die in der Revision der beklagten Partei vertretende Gegenauffassung vermag dafür keinen Beleg anzuführen. Sie steht mit der ausdrücklichen Regelung in § 104 Abs 4 zweiter Satz AktienG im Widerspruch, wonach die Hauptversammlung den Bilanzgewinn ganz oder teilweise von der Verteilung ausschließen kann, soweit sie aufgrund der Satzung hierzu ermächtigt ist. Die Formulierung der Satzung im vorliegenden Fall, wonach die Hauptversammlung über die „Verwendung“ des Bilanzgewinns entscheidet, wiederholt nur im Zusammenhang mit der Aufzählung der Aufgaben der Hauptversammlung die nach dem Gesetz bestehende Kompetenzverteilung, stellt aber keine ausreichende Grundlage für den Vortrag des Bilanzgewinns dar.

1.6. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass dies nach dem Vorbringen der beklagten Partei bisher stets anders gehandhabt wurde. Satzungen sind nämlich nach den Auslegungsgrundsätzen der §§ 6 und 7 ABGB objektiv auszulegen (RIS-Justiz RS0080291, RS0008834). Dabei ist wegen möglicher Interessen Dritter einer am Wortlaut orientierten Auslegung der Vorrang einzuräumen (RIS-Justiz RS0108891 [T3, T4]). Gewinnverwendungsvorschriften wie grundsätzlich alle korporativen Satzungsbestimmungen müssen deutlich formuliert sein (3 Ob 59/07h). Selbst bei einer personalistisch strukturierten GmbH, an der nur die Gründungsgesellschafter beteiligt sind, gilt, dass die Auslegung der Satzung rein objektiv zu erfolgen hat, sodass nicht auf den subjektiven Parteiwillen abgestellt werden kann (RIS-Justiz RS0108891 [T19]). Der Hinweis der beklagten Partei, dass sich ca 95 % der Aktien im Besitz zweier Familien befänden, vermag daher am Gebot der objektiven Auslegung nichts zu ändern.

2.1. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch das Vorliegen von Rechtsmissbrauch verneint (§ 510 Abs 3 ZPO).

2.2. Rechtsmissbrauch wird nach neuerer Auffassung schon dann angenommen, wenn unlautere Motive der Rechtsausübung das lautere Motiv eindeutig überwiegen (RIS-Justiz RS0026265; RS0026271 [T20]). Beweispflichtig für das Vorliegen von Schikane ist der Schikane Behauptende (RIS-Justiz RS0026271 [T21]). Dabei geben selbst relativ geringe Zweifel am Rechtsmissbrauch zugunsten des Rechtsausübenden den Ausschlag, weil demjenigen, der an sich ein Recht hat, grundsätzlich zugestanden werden soll, dass er innerhalb der Schranken dieses Rechts handelt (RIS-Justiz RS0026271 [T26]). Begründet allerdings der Ablauf eines Geschehens die Vermutung der Schädigungsabsicht, ist es Sache des Handelnden, einen gerechtfertigten Beweggrund für sein Verhalten zu behaupten und zu beweisen (RIS-Justiz RS0026271 [T28]).

2.3. In der gesellschaftsrechtlichen Literatur wird die Frage des Rechtsmissbrauchs auch im Zusammenhang mit der Treuepflicht diskutiert (vgl Diregger in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG² § 195 Rz 29 ff; Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht Kap 3.1 Rz 3/135 ff, wo in Rz 3/138 auch das Anfechtungsrecht genannt wird; vgl auch Dörr in Spindler/Stilz, AktG³ § 245 Rz 57).

2.4. In der deutschen Literatur zum Aktienrecht wird als Rechtsmissbrauch insbesondere der Fall hervorgehoben, dass ein Aktionär eine Klage erhebt, um einen in der Regel unberechtigten Anspruch geltend zu machen, er jedoch in der Absicht handelt, sich den „Lästigkeitswert“ der Klage ablösen zu lassen (Englisch in Hölters, AktG² § 245 Rz 28 ff; Dörr in Spindler/Stilz, AktG³ § 254 Rz 59), insbesondere, wenn es um Beschlüsse geht, die zu ihrer Wirksamkeit einer Eintragung in das Handelsregister (Firmenbuch) bedürfen (vgl dazu Koch in Hüffer/Koch, AktG12 § 245 Rz 23).

2.5. Im vorliegenden Fall wird jedoch weder ein unberechtigter Anspruch erhoben, noch bestehen Hinweise dafür, dass der Kläger in der Absicht agieren würde, sich die Klagsführung ablösen zu lassen. Für die in der deutschen Literatur weiter diskutierten Fälle der „Vernichtung“ der Gesellschaft oder des Versuchs, die Gesellschaft unter den „eigenen Einfluss zu bringen“ (vgl Hüffer/Schäfer in MünchKomm AktG4 § 245 Rz 60), finden sich im vorliegenden Sachverhalt keine Anhaltspunkte.

2.6. Nicht stichhaltig ist auch die Überlegung des Erstgerichts, ein Rechtsmissbrauch ergebe sich bereits daraus, dass der Kläger nur über wenige Aktien verfüge. Diesbezüglich hat schon das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass nach § 196 Abs 1 Z 1 AktG jeder einzelne Aktionär anfechtungsbefugt ist, ganz unabhängig davon, über wie viele Anteile er verfügt.

3.1. Die Klagsführung verstößt auch nicht gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht. Während im GmbH-Recht die Treuepflicht der Gesellschafter in der Rechtsprechung anerkannt ist (RIS-Justiz RS0026106), sprach der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 9 Ob 64/03g aus, ein Aktionär sei nicht verpflichtet, sein Stimmrecht allein zum Wohl der Gesellschaft auszuüben, sondern dürfe vielmehr im Rahmen der Grundsätze von Treu und Glauben und der guten Sitten eigene Interessen verfolgen.

3.2. Als praktisch bedeutsamster Fall der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht im vorliegenden Zusammenhang wird die Konstellation diskutiert, dass der Gesellschafter dringend gebotene Sanierungsmaßnahmen nicht verhindern darf bzw ihnen unter Umständen sogar zustimmen muss (vgl Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht Kap 3.1 Rz 3/138; Laubert in Hölters, AktG § 53a Rz 19). In diesem Sinne wird bei der GmbH eine Pflicht der Gesellschafter angenommen, für die Thesaurierung von Gewinnen zu stimmen, wenn dies für die Überlebensfähigkeit der Gesellschaft erforderlich ist (6 Ob 100/12t; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG³ § 39 Rz 14; ähnlich Enzinger in Straube, GmbHG § 39 Rz 52 f mwN, wobei dieser die Annahme einer Zustimmungspflicht bloß als „ultima ratio“ sieht).

3.3. Die beklagte Partei macht geltend, eine Vollausschüttung sei für sie wirtschaftlich nicht sinnvoll. Dies ist jedoch den in der Literatur diskutierten Fällen der Treuepflicht, in denen gewissermaßen „die Existenz des Unternehmens auf dem Spiel steht“, nicht gleichzuhalten. Das Berufungsgericht hat dazu darauf verwiesen, dass bei Ausschüttung des Gewinns die Eigenkapitalquote immer noch bei überdurchschnittlichen 61,14 % läge.

3.4. In der Literatur wird teilweise vertreten, dass in „Familien-AGs“ erhöhte Pflichtenbindungen bestehen können (Diregger in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG² § 195 Rz 33). Dies kann aber dann nicht gelten, wenn einzelne Aktien auch Außenstehenden zum Erwerb offenstehen. In diesem Fall müssen die Aktionäre in Anbetracht des Fehlens einer Vinkulierung gemäß § 62 Abs 2 AktienG stets damit rechnen, dass Fremde Aktien erwerben und dann ihre Interessen geltend machen.

3.5. Nach Schärf (Die aktienrechtliche Treuepflicht zwischen den Aktionären, GesRz 1999, 170 [179]) seien „echte Kleinaktionäre“ mit – wie im vorliegenden Fall der Kläger – deutlich weniger als 1 % der Anteile von der aktienrechtlichen Treuepflicht generell nicht betroffen; zum anderen könnten selbst für die Gesellschaft erheblich schädliche Anfechtungsklagen zumindest nicht „per se“ als treuwidrig angesehen werden, da dies contra legem wäre (Schärf aaO, 181).

3.6. Demgegenüber vertritt die herrschende Lehre zum deutschen Recht, dass auch der Minderheitsaktionär einer Treuepflichtbindung gegenüber dem Mehrheitsaktionär und anderen Minderheitsaktionären unterliegt, die ihn dazu verpflichtet, seine Mitgliedsrechte unter angemessener Berücksichtigung der gesellschaftsbezogenen Interessen der anderen Aktionäre auszuüben. Insbesondere darf deshalb das Zustandekommen von Beschlüssen nicht aus eigensüchtigen Motiven verhindert werden, wenn die Beschlüsse im Interesse der Gesellschaft oder der Mitaktionäre unbedingt erforderlich und allen Aktionären zumutbar sind (Drygala in Kölner Kommentar AktG³ § 53a Rz 94 mwN).

3.7. Zu „eigennützigen“ Mitgliedschaftsrechten (dazu auch Laubert in Hölters, AktG § 53a Rz 17) hat der Oberste Gerichtshof im Zusammenhang mit der GmbH bereits ausgesprochen, dass derartige Rechte des Gesellschafters, die primär seinen Interessen dienen, im Einzelfall auch gegen die Interessen der Gesellschaft ausgeübt werden dürfen (RIS-Justiz RS0107912). In einem derartigen Fall können Einschränkungen durch die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht nur unter ganz besonderen Umständen angenommen werden. Dies gilt auch im vorliegenden Fall:

3.8. Das hier betroffene Recht auf Gewinnausschüttung weist deutlich eigennützigen Charakter auf. Dabei handelt es sich neben der Beteiligung am Liquidationserlös um die klassischen Vermögenspositionen, in denen sich der individuelle Wert der Beteiligung für den Aktionär niederschlägt und die ihn motivieren, sich zu eigenem finanziellen Nutzen an der Aktiengesellschaft zu beteiligen (Drygala in Kölner Kommentar AktG³ § 53a Rz 97 mwN). Daher besteht hier keine Pflicht zur Unterordnung unter das Gesellschaftsintersse; im Regelfall ist jenseits der vom Gesetz gezogenen Grenzen kein Aktionär verpflichtet, seine Ausschüttungsinteressen dem Gesellschaftsinteresse unterzuordnen (Drygala in Kölner Kommentar AktG³ § 53a Rz 97 mwN). Das Gesetz beschränkt die Förderpflicht des Aktionärs auf die Leistung der Einlage und gegebenenfalls auf die Erbringung satzungsmäßig festgelegter Nebenleistungen. Eine Pflicht des Aktionärs zu weiteren treuepflichtbedingten Vermögensopfern besteht nicht (Drygala in Kölner Kommentar AktG³ § 53a Rz 122).

3.9. Hinzu kommt eine weitere Überlegung: Zwar wird das Anfechtungsrecht in der Literatur als eigennütziges Recht des Aktionärs bezeichnet (Hüffer/Schäfer in MünchKomm AktG4 § 245 Rz 57). Andererseits wird zu Recht darauf verwiesen, eine Beschlussanfechtung könne auch im allgemeinen Interesse an der Rechtmäßigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen betrieben werden (Dörr in Spindler/Stilz, AktG³ § 245 Rz 54 ff; Drygala in Kölner Kommentar AktG³ § 53a Rz 99 je mwN). Eine über das Verbot des Rechtsmissbrauchs hinausgehende Verpflichtung, von einer Anfechtungsklage wegen entgegenstehender Gesellschaftsinteressen Abstand zu nehmen, begründet die Treuepflicht des Aktionärs nicht (Dörr aaO; ähnlich Laubert in Hölters, AktG § 53a Rz 17; Hüffer/Schäfer in MünchKomm AktG4 § 145 Rz 57). Treuwidrig handle ein Aktionär aber dann, wenn er die Rücknahme der Klage gegen Gewährung nicht gerechtfertigter Sondervorteile in Aussicht stelle (Drygala in Kölner Kommentar AktG³ § 53a Rz 99). Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

3.10. Auch der Umstand, dass der Kläger möglicherweise wiederholt Anfechtungsklagen einbringt und sich dabei Unternehmen mit „problematischen“ Satzungsbestimmungen als „Ziele“ aussucht, ist für sich genommen nicht sittenwidrig. Vielmehr ist dies vom Vereinszweck der klagenden Partei gedeckt. Es läge an der beklagten Partei, ihre Satzung an die geltende Rechtslage anzupassen, zumal über die Notwendigkeit einer ausdrücklichen Ermächtigung in der Satzung, sofern die Hauptversammlung auch von einer Vollausschüttung Abstand nehmen können soll, seit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 3 Ob 59/07h kein Zweifel bestehen konnte und auf das Erfordernis einer diesbezüglichen Änderung bestehender Satzungen in der Literatur in neuerer Zeit hingewiesen wurde (vgl Brix, GesRz 2015, 123 [124]).

3.11. Die in der Revision der Beklagten zum Nachweis einer weitergehenden Einschränkung der Befugnis zur Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen angeführten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs betreffen GmbHs. Die Entscheidung 4 Ob 101/06s bezieht sich demgegenüber auf eine Konstellation in der – gewissermaßen umgekehrt zum hier vorliegenden Fall – das Vorgehen der AG gegen die Aktionäre als rechtsmissbräuchlich beurteilt wurde.

Zur Revision des Klägers:

4.1. Der Kläger steht auf dem Standpunkt, ohne die begehrte Feststellung entstünde ein Rechtsschutzdefizit, weil es dann die Mehrheit der Aktionäre in der Hand hätte, in bewusster Verletzung zwingender Bestimmungen des Aktiengesetzes den rechtlich gebotenen Beschluss dauerhaft zu verhindern.

4.2. Dem ist nicht zu folgen.

4.3. Als „positive Beschlussfeststellungsklage“ wird in der Judikatur der Fall bezeichnet, dass bei bloßen Mängeln des Beschlusses infolge unzutreffender Ergebnisfeststellung die Anfechtungsklage mit dem Begehren auf Feststellung des tatsächlich zustandegekommenen Beschlusses verbunden werden kann (RIS-Justiz RS0109584).

4.4. In der Entscheidung 6 Ob 203/97i hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, eine mit der Anfechtungsklage verbundene Feststellungsklage könnte nur dann erfolgreich sein, wenn nur strittig ist, ob die von den anwesenden Gesellschaftern oder ihren Vertretern abgegebenen Stimmen gültig sind, nicht aber, wenn darüber hinausreichende, nicht nur die Abstimmung selbst – also die Abgabe einer Willenserklärung durch die Gesellschafter – betreffende Mängel vorliegen.

4.5. Im Rahmen einer Feststellungsklage über das Beschlussergebnis kann nur geklärt werden, ob eine dem Gesellschafter zuzurechnende Stimmabgabe gültig oder wegen Verstoßes gegen Stimmverbote ungültig war (RIS-Justiz RS0109612).

4.6. Die Entscheidung 6 Ob 28/08y betraf den Fall, dass die Stimmen bestimmter Aktionäre richtigerweise nicht gezählt werden hätten dürfen, weil es um eine Abstimmung „in eigener Sache“ ging. In einem derartigen Fall kann mit der Anfechtungsklage ein Begehren auf Feststellung des gewissermaßen gegenteiligen Beschlussergebnisses verbunden werden. Dies ergibt sich daraus, dass dann – unter Zugrundelegung einer gesetzmäßigen Auszählung – nicht der in der Hauptversammlung protokollierte Beschluss, sondern sein Gegenteil „zustandegekommen“ ist. Im Fall 6 Ob 28/08y wurde daher einerseits der Beschluss, womit der Antrag auf Bestellung eines Sonderprüfers nach § 118 Abs 1 AktienG abgelehnt sei, für nichtig erklärt und gleichzeitig festgestellt, dass ein Beschluss aus Bestellung des Sonderprüfers gefasst wurde. Auch im Fall 7 Ob 300/05a ging es offenbar um die Frage, welche abgegebenen Stimmen gezählt werden durften, weil dort ein Verstoß gegen die Bestimmungen des ÜbG geltend gemacht wurde, der das Ruhen der Stimmrechte zur Folge haben konnte.

4.7. Im vorliegenden Fall geht es demgegenüber nicht um die Frage, welcher Beschluss zustandegekommen ist, sondern darum, ob der Beschluss, den Gewinn auf neue Rechnung vorzutragen, einer inhaltlichen Prüfung standhält. Selbst, wenn man diesbezüglich zu dem Ergebnis kommt, dass die Anfechtungsklage berechtigt ist, bedeutet dies noch nicht, dass damit automatisch ein gegenteiliger Beschluss auf Vollausschüttung gefasst worden wäre, weil es dann etwa auch möglich gewesen wäre, die Satzung in der Hauptversammlung zu ändern und so die Möglichkeit eines Vortrags des Bilanzgewinns auf neue Rechnung ausdrücklich zu schaffen (vgl Gruber in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG² § 104 Rz 46).

4.8. Auch in der deutschen Literatur wird der Fall einer „positiven Beschlussfeststellungsklage“ lediglich für den Fall erwähnt, einen tatsächlich getroffenen Beschluss feststellen zu lassen, etwa wenn Stimmrechtsausschlüsse nicht beachtet wurden oder sich Zählfehler ereignet haben (Englisch in Hölters, AktG² § 246 Rz 65 f; Koch in Hüffer/Koch, AktG12 § 246 Rz 42; Dörr in Spindler/Stilz, AktG³ § 246 Rz 57 ff).

4.9. Das Gericht kann hingegen nicht einfach den angefochtenen Beschluss durch einen anderen vom Kläger gewünschten ersetzen. Konsequenz seiner erfolgreichen Anfechtung wie im vorliegenden Fall ist nur, dass die Hauptversammlung erneut über die Gewinnverwendung zu beschließen hat.

4.10. Das vom Kläger behauptete Rechtsschutzdefizit liegt nicht vor, zumal nicht feststeht, dass die anderen Aktionäre selbst im Fall der Stattgebung der Anfechtungsklage beharrlich eine Vollausschüttung des Gewinns verweigern würden. Außerdem ist zumindest für die hier zu beurteilende Konstellation einer „Familien-AG“ eine Leistungsklage gegen andere Gesellschafter auf Zustimmung zu einem Beschluss auf Vollausschüttung kein für den Kläger unzumutbarer Weg. In dieser Konstellation kommen die von Diregger (in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG² § 195 Rz 36) geäußerten praktischen Bedenken, eine Leistungsklage auf eine bestimmte Stimmabgabe sei wenig geeignet, nicht zum Tragen.

4.11. Nicht entscheidend ist allerdings der Hinweis der Beklagten, der Kläger habe im Zuge des Gesellschafterausschlusses eine Barabfindung erhalten, die auch den einbehaltenen Gewinnanteil beinhalte. Dieses Argument mag wirtschaftlich möglicherweise zutreffen; das vorliegende Begehren ist jedoch nicht unmittelbar auf eine Geldleistung gerichtet, sondern es soll ein bestimmter Hauptversammlungsbeschluss festgestellt werden. Ob die Gesellschaft die bereits bezahlte Barabfindung einer allfälligen späteren Klage des Klägers auf Auszahlung der Dividende (vgl Gruber in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG² § 104 Rz 49) entgegengehalten werden könnte, ist im vorliegenden Fall nicht zu beurteilen.

5. Damit erweisen sich aber beide Revisionen als nicht berechtigt.

6. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 43, 50 ZPO. Bei der hier gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung ist der Prozesserfolg beider Parteien etwa gleich hoch, sodass mit Kostenaufhebung vorzugehen war.

Leitsätze

  • Zur Rechtsmissbräuchlichkeit einer Klage in Zusammenhang mit der Treuepflicht

    Rechtsmissbräuchlich können Klagen nur dann sein, wenn sie sich auf keinen berechtigten Anspruch beziehen oder nur erhoben werden, um einen gewissen „Lästigkeitswert“ zu erzielen, der abgelöst werden kann. Ein berechtigter Anspruch, wie die Klage auf Feststellung des Beschlusses der Vollausschüttung des gesamten ausgewiesenen Bilanzgewinns durch einen Aktionär, kann hingegen auch dann nicht rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Gewinnanteil des Klägers lediglich EUR 7,42 beträgt.
    WEKA (ffa) | Judikatur | Leitsatz | 6 Ob 169/16w | OGH vom 24.10.2016 | Dokument-ID: 878288