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Erwin Fuchs | News | 03.02.2022
Normalarbeitszeit in der Gleitzeit
Immer öfter entscheiden sich Unternehmen für ein Gleitzeitmodell. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, bis zu welchem Ausmaß der täglichen Arbeitszeit Normalarbeitszeit in der Gleitzeit zulässig ist und ab wann Zuschläge anfallen.
Gilt der KV oder das Arbeitszeitgesetz im Bereich der Gleitzeit?
Seit 01.09.2018 können laut § 4b Arbeitszeitgesetz 12 Stunden Normalarbeitszeit in der Gleitzeit als zulässig vereinbart werden. Gleichzeitig gelten – je nach Branche – konkrete Kollektivverträge, die mitunter nur 10 Stunden Normalarbeitszeit in der Gleitzeit zulassen. Welche Bestimmung ist nun zu beachten? Das Arbeitszeitgesetz oder der Kollektivvertrag?
OGH hat diese Frage ausführlich beantwortet
Mit dieser Frage hat sich der OGH am 16.12.2019 in der Entscheidung 8 Ob A 77/18h auseinandergesetzt. Seine Klärung ist für jeden Betrieb relevant, für den sowohl das Arbeitszeitgesetz (im Folgenden: AZG) als auch ein Kollektivvertrag (im Folgenden: KV) anzuwenden ist.
Strittige Rechtsfrage und Anträge der Parteien
Strittig war die Auslegung des § 4 Abs 9 des KV für Angestellte des Metallgewerbes, der wie folgt lautet: „Durch Betriebsvereinbarung – in Betrieben ohne Betriebsrat durch Vereinbarung mit den einzelnen Arbeitnehmern – darf die tägliche Normalarbeitszeit gemäß § 4b Abs 4 AZG (Gleitzeitvereinbarung) bis auf 10 Stunden verlängert werden.“
Die Antragstellerin begehrte die Feststellung, dass diese Bestimmung einer Regelung über eine tägliche Normalarbeitszeit von bis zu 12 Stunden in einer seit dem 01.09.02018 abgeschlossenen Gleitzeit-(betriebs-)Vereinbarung gemäß § 4b AZG nicht entgegenstehe.
Die Antragsgegnerin vertrat die Ansicht, dass diese Bestimmung eindeutig auf eine Beschränkung der täglichen Normalarbeitszeit mit bis zu zehn Stunden gerichtet sei. Die Regelung des KV sei für die Arbeitnehmer in der gebotenen Gesamtbetrachtung günstiger als die gesetzliche Regelung und daher wirksam.
Zusammenfassung der strittigen Fragen
Zusammengefasst hat der OGH nachfolgende Fragen, als wesentlich erachtet, und diese in seiner Entscheidung beantwortet:
(i) Haben die Kollektivvertragsparteien die Kompetenz, die vom Gesetzgeber den Betriebsvereinbarungsparteien zuerkannte Möglichkeit der Gestaltung von Gleitzeit nach dem AZG einzuschränken?
(ii) Welche Kompetenzen kommen den Kollektivvertragsparteien zur Gestaltung von Arbeitszeit- und Entgeltbedingungen allgemein in diesem Zusammenhang zu?
(iii) In welchem Verhältnis stehen Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen, die solche Fragen regeln.
Entscheidung des OGH
1. Die Kollektivvertragsparteien haben hier eigene Arbeitszeitregelungen und mit diesen verbundene Entgeltregelungen getroffen, die über die Regelungen des AZG hinausgingen und auch nach der Änderung des AZG aufrechterhalten wurden und wirksam sind.
2. Die Kompetenzen von Kollektivvertragsparteien und Betriebsvereinbarungsparteien zur Schaffung von normativ auf den Arbeitsvertrag einwirkenden Regelungen sind sowohl im ArbVG als auch im AZG geregelt.
3. Diese Kompetenztatbestände des AZG schränken hier jene des ArbVG zur Regelung von Arbeitszeit und Entgelt durch Kollektivvertrag nicht ein.
4. Ohne ausdrückliche Ermächtigung kann aber auch der Kollektivvertrag nicht die im AZG den Betriebsvereinbarungsparteien eingeräumte Regelungskompetenz einschränken.
5. Bestehen Kollektivvertragsregelungen und Betriebsvereinbarungsregelungen zum gleichen Regelungsbereich, so wird deren Verhältnis zueinander durch das Günstigkeitsprinzip des § 3 ArbVG bestimmt.
6. Unter Beachtung der Wertungen der Übergangsbestimmungen des AZG sind die Bestimmungen des Kollektivvertrags günstiger als die einer Betriebsvereinbarung nach § 4b AZG und gehen dieser vor.
Auswirkungen der Entscheidung und Tipps für die Praxis
In der Praxis ist es eine der größten Herausforderungen, die jeweils betrieblich zulässige Arbeitszeit zu ermitteln und sodann ein entsprechendes Arbeitszeitmodell einzuführen.
Hier hat der OGH mit dieser Entscheidung erfreuliche Klarheit gebracht. Im Verhältnis Gesetz zu Kollektivvertrag gilt im Bereich der Gleitzeit das Günstigkeitsprinzip.
Günstiger ist aus Sicht des Arbeitnehmers die kollektivvertragliche Bestimmung, wonach für die 11. und 12. Arbeitsstunde des Tages Zuschläge zustehen.
Was in der Praxis offen bleibt, ist die Lösung des mitunter nahezu gordischen Knotens, wenn Einzelvertrag, Betriebsvereinbarung und betriebliche Übung im Bereich der Arbeitszeit aufeinanderprallen. Was gilt dann? Hier ist zunächst das betrieblich gewünschte Arbeitszeitmodell zu ermitteln. Weiters ist es nötig, sämtliche in Geltung befindliche arbeitszeitliche Regelungen zu evaluieren und auf das neue Arbeitszeitmodell hin anzupassen.
Der Mehrwert für Arbeitgeber und Arbeitnehmer liegt darin, ab einem bestimmten Stichtag (wieder bzw erstmalig) arbeitszeitlich zulässig und transparent agieren zu können.
Richtige und adäquate Arbeitszeitmodelle verhindern behördliche und gerichtliche Auseinandersetzungen und sind damit ein wertvoller Beitrag zum Betriebsfrieden sowie zum unternehmerischen Erfolg.