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Sylvia Unger | News | 02.12.2024

Kündigung statt Lohnerhöhung: Ist das erlaubt?

RA Mag. Sylvia Unger erläutert anhand eines aktuellen Falls aus der Praxis, ob die Umgehung einer Lohnerhöhung durch Änderungskündigungen rechtlich möglich ist.

Einleitung

Ein Zulieferbetrieb der Automobilindustrie meldete Ende November 2024 von seinen insgesamt 960 Arbeitnehmer:innen (AN) 882 zur Kündigung im Frühwarnsystem des AMS an. Der Betrieb steht aber nicht, wie zunächst vermutet, kurz vor der Insolvenz. Der Grund dafür ist vielmehr, dass das Unternehmen die kollektivvertragliche Lohnerhöhung iHv 4,8 % laut Kollektivvertrag für Arbeiter in Eisen-Metallerzeugende und -verarbeitenden Industrie (KV) nicht umsetzen will. Stattdessen möchte das Unternehmen mit den betroffenen AN neue Dienstverträge abschließen, in denen diese auf die Lohnerhöhung verzichten. Das gelte aber nur für Löhne und Gehälter, die bereits über dem kollektivvertraglichen Mindestlohn liegen. Grund für diese Maßnahme sei die angespannte wirtschaftliche Lage und ein Umsatzrückgang von 15 %.

Was ist eine Änderungskündigung?

Änderungskündigungen können auf zwei Arten abgewickelt werden:

  • Variante 1: Der Dienstvertrag wird vom Arbeitgeber (AG) bedingt gekündigt. Die Kündigung tritt nur in Kraft, wenn der AN die Änderung nicht annimmt. In diesem Fall ist die Kündigung zwar formell ausgesprochen, sie wird aber erst wirksam, wenn der AN der Änderung nicht zustimmt. Diese Variante wählte der gegenständliche AG.
  • Variante 2: Der AG droht die Kündigung für den Fall an, dass der AN der Änderung des Dienstvertrages nicht zustimmt. Bei dieser Variante soll der bestehende Dienstvertrag einvernehmlich durch die Vertragspartner geändert werden, und nur wenn kein Einvernehmen erzielt werden kann, kommt es zur Kündigung.

Umgehung einer Lohnerhöhung durch Änderungskündigungen

Auch die tatsächlichen Monatslöhne (IST-Löhne), die über dem kollektivvertraglichen Mindestlohn liegen, müssten laut KV um 4,8 % erhöht werden. Um das zu vermeiden, werden laut Medienberichten die Dienstverträge jener AN, die eine Überbezahlung erhalten, gekündigt, um mit ihnen unmittelbar danach neue Dienstverträge zu schließen. In den neuen Dienstverträgen sollen die AN auf die Lohnerhöhung laut KV verzichten. Sie erhalten jedenfalls den kollektivvertraglichen Mindestlohn. Dadurch würde sich der AG die Mehrkosten durch die Lohnerhöhung ersparen, die AN wären aber nicht unterbezahlt.

Der im KV vorgesehene Mindestlohn darf nicht unterschritten werden; wenn doch, läge Lohndumping vor, das durch hohe Geldstrafen sanktioniert ist (§ 29 Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz/LSD-BG).

Kollektivvertragliche Härtefallklausel

Der KV sieht eine sog „Härtefallklausel“ vor. Sie dient dazu, Unternehmen in wirtschaftlicher Bedrängnis bei der Lohnerhöhung unter die Arme zu greifen.

Demnach dürfen Unternehmen, welche diese Klausel in Anspruch nehmen, Abschläge auf die Lohnerhöhung von 0,75 % bis 1,5 % vornehmen. Diese Abschläge müssen wiederum ausgeglichen werden, etwa durch mehr Freizeit für die AN, einer Dotierung von Bildungsmaßnahmen oder eines Wohlfahrtsfonds oder in sonstigen adäquaten Maßnahmen, um einen Interessensausgleich zu schaffen. Dem gegenständlichen AG waren die Abschläge wohl nicht ausreichend.

Fazit

Mit Änderungskündigung gegen Lohnerhöhungen vorzugehen ist nicht per se verboten, solange es nicht zu Unterbezahlung/Lohndumping (= Bezahlung unter dem kollektivvertraglichen Mindestlohn) führt. Sie gilt als zulässiges Druckmittel zum Abschluss einer Verschlechterungsvereinbarung. Aber auch Änderungskündigungen unterliegen dem allgemeinen Kündigungsschutz und können daher wegen verpönten Motiven und/oder Sozialwidrigkeit gem § 105 ArbVG angefochten werden.

Wird, gegen keine zwingenden Normen (zB KV) verstoßen, ist eine Anfechtung wegen verpönten Motivs wohl nicht erfolgversprechend.

Bei Sozialwidrigkeit ist zu prüfen, ob die Interessen des AN so wesentlich beeinträchtigt werden, dass sie die betrieblichen Interessen des AG übersteigen. Bei der Änderungskündigung ist der Maßstab, ob dem AN die Annahme des Änderungsangebots zumutbar ist. Unzumutbare Verschlechterungen können Entgelt- und Arbeitsbedingungen betreffen. Darüber hinaus ist die meist günstigere Position des AG zu berücksichtigen. Dabei sind stets die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.